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Im Gespräch: „Rassismus zu bekämpfen, muss Aufgabe staatlicher Institutionen sein“

Von links hinten im Uhrzeigersinn: Adiam Zerisenai, Andreas Jäger,  Newroz Duman, Azfar Khan und Marc-Alexander Reinbold aus dem AmkA
Von links hinten im Uhrzeigersinn: Adiam Zerisenai, Andreas Jäger, Newroz Duman, Azfar Khan und Marc-Alexander Reinbold aus dem AmkA

Was bewegt die Menschen, die in den stadtRAUMfrankfurt kommen? Was motiviert sie für ihr – oft ehrenamtliches – Engagement? Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) lädt sie ein, darüber zu sprechen.

Diesmal begegnen sich: Newroz Duman von der Initiative 19. Februar in Hanau, Adiam Zerisenai von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund e. V.) sowie Andreas Jäger vom Amt für Demokratie, Vielfalt und Sport der Stadt Hanau.

Alle drei engagieren sich im Antidiskriminierungsnetzwerk (AdiNet) Rhein-Main. Gemeinsam wollen sie Strukturen schaffen, um Betroffenen schneller und wirksamer zu helfen. Denn noch immer finden diskriminierte Menschen nicht überall die Unterstützung, die sie benötigen. Im AdiNet arbeiten Kommunen mit privaten und öffentlichen Trägern zusammen. Koordiniert wird das Netzwerk durch das AmkA.

 

AmkA: Newroz Duman, vor zweieinhalb Jahren hat ein rassistisch motivierter Täter in Hanau neun Menschen getötet. Wie bewertet die Initiative 19. Februar die Aufklärungsarbeit?

Newroz Duman: Der Untersuchungsausschuss läuft noch. Die meisten Fragen an die Polizeibehörden sind nicht aufgeklärt. Die Behörden machen sehr deutlich, dass sie auch zweieinhalb Jahre nach der Tat keine Verantwortung übernehmen und Konsequenzen ziehen wollen. Deswegen machen wir über die Medien weiter Druck, auch auf den Ausschuss. Dazu kommt: Weder die Polizei noch das Innenministerium haben sich bisher den Fragen der Betroffenen gestellt.

AmkA: Wie war und ist die Unterstützung aus der Bevölkerung?

Newroz Duman: Uns geht es um Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen – denn das sind keine Selbstverständlichkeiten. Alles, was wir über den Anschlag wissen, alles, was sich bewegt hat, verdanken wir dem unermüdlichen Kampf der Angehörigen, den Unterstützer:innen und einigen Journalist:innen. Deshalb hängt viel davon ab, dass sich möglichst viele Menschen mit den Opfern und den Angehörigen solidarisieren. Es geht darum, diese rassistische Tat jetzt und künftig sichtbar machen. Am zweiten Jahrestag des Anschlags haben 150 Städte Gedenkaktionen veranstaltet. Das ist stark, denn nur wenn wir erinnern, können wir für Veränderung sorgen. Das zeigt uns auch, wie wichtig die ehrenamtliche Arbeit ist, die wir tagtäglich machen, dass wir nicht lockerlassen dürfen.

AmkA: Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland gibt es bereits seit 1985. Mit welchen Anliegen kommen die Menschen heute zu Ihnen? Sind es andere als zu Beginn?

Adiam Zerisenai: Die ISD ist eine Selbstorganisation, Schwarze Menschen haben sich zusammengeschlossen aufgrund der Gewalterfahrungen, die sie erlebt haben. Sie haben Strukturen aufgebaut, auch um sich gegenseitig im Umgang mit diesen Erfahrungen zu unterstützen und um sich zu empowern. Heute haben wir andere Möglichkeiten, zum Beispiel wird unser Projekt KomPAD vom Bundesfamilienministerium gefördert. Die Vorarbeit von Schwarzen Aktivist:innen lief jahrzehntelang ehrenamtlich.

AmkA: Was bedeutet diese Förderung für Ihre Arbeit?

Adiam Zerisenai: Bei KomPAD fokussieren wir Bildungseinrichtungen. Zu uns kommen Eltern oder Bezugspersonen von Kindern, die sagen: Wir erleben Anti-Schwarzen Rassismus in der Kita oder Schule, was können wir tun? Sie wenden sich an uns, weil sie wissen, dass sie nicht abgelehnt oder ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen werden. Durch die Förderung über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ haben wir eine andere Legitimation als früher, wir können die Schulen direkt ansprechen und eine diskriminierungskritische Haltung fördern.

AmkA: Viele Betroffene machen erst gar nicht auf Diskriminierung aufmerksam. Was kann man tun, damit sich das ändert?

Adiam Zerisenai: Es fehlt das Vertrauen in staatliche Institutionen. Wenn Jugendliche erklären, sie seien von einer Lehrperson rassistisch behandelt worden, stößt das oft auf Abwehrmechanismen. Bewertet werden solche Situationen oft von sogenannten Expert:innen, die nicht machtkritisch sind. Doch es sind die Betroffenen, die sich in ihren Lebensrealitäten am besten auskennen. Viele handeln deshalb nach der Strategie: Ich ziehe mich lieber zurück, ich will da nicht so viel Energie reinstecken. Andere kommen zu uns, weil sie Vertrauen zu uns haben. Das ist gut, aber das Kernproblem lösen wir so nicht. Es muss sich strukturell etwas in den Institutionen ändern und es muss Verständnis dafür geben, dass  Kinder und Jugendliche rassistische Gewalt erleben. Das ist vor allem eine Machtfrage.

Andreas Jäger: Deswegen müssen wir als Behörde Transparenz schaffen. Wir müssen den Leuten die Angst nehmen, zu uns zu kommen. Wenn sie sich aber vorher fragen: Wie behandeln die mich? Läuft das Gespräch vielleicht von oben herab, so wie ich es schon erlebt habe? Dann ist das für viele Menschen eine Riesenbarriere, überhaupt in eine Behörde zu gehen. Wie du es gesagt hast, Adiam: Es reicht nicht, wenn sich Einzelne oder Gruppen einsetzen, wir müssen an die Strukturen ran. Dafür braucht es zunächst eine andere Haltung, die Defizite klar benennt. Eine unserer Aufgaben ist es deswegen, in unsere Verwaltung reinzugehen und die Leute zu sensibilisieren und zu schulen.

AmkA: Was machen Sie konkret?

Andreas Jäger: Zum Beispiel organisieren wir eine Mittagspause bei uns im Amt, bei der es um Diversität geht. Da kommen Kolleg:innen, die sonst Schulen bauen oder sich um die Finanzen kümmern. Und wenn es dann ums Gendern geht, sagen manche: Okay, aber was das mit meiner Arbeit zu tun? Da braucht es einen Kulturwandel, eine andere Haltung. Wir müssen den Leuten klarmachen, dass Diversität und Antidiskriminierung gesellschaftliche Querschnittsaufgaben sind. Auch Mitarbeitende der Verwaltung stehen in der Verantwortung.

AmkA: Wie kann das AdiNet bei der Antidiskriminierungsarbeit helfen?

Newroz Duman: In Hessen haben wir eine einzige Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. Eine Einzige! Auch deswegen kommen zu uns Menschen, die rassistisch angepöbelt oder angegriffen wurden. Sie wollen beraten werden, das können wir aber nicht leisten. Ich rufe dann Kontakte an, von denen ich denke, dass sie helfen können. Oft haben diese Stellen aber keine Kapazitäten. Dann suche ich weiter – und das ist schwierig, wenn es keine Strukturen vor Ort gibt. Wenn ich in Schlüchtern diskriminiert werde, sollte ich nicht nach Frankfurt fahren müssen, um Hilfe zu bekommen. Diese Lücke zu schließen, dazu kann das AdiNet langfristig beitragen.

Adiam Zerisenai: Wir Organisationen in der Antidiskriminierungsarbeit haben jeweils eigene Interessen und politische Ziele. Wir vergessen manchmal, uns stärker miteinander zu vernetzen. Ein Beispiel: Unser Fokus ist Anti-Schwarzer Rassismus. Im AdiNet schildert mir vielleicht eine Person aus der muslimischen Community, dass sie Kinder und Jugendliche kennt, die von Anti-Schwarzem Rassismus betroffen sind. Diese Zusammenarbeit finde ich wichtig.

Andreas Jäger: Das AdiNet gibt die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen, den Blick zu schärfen. Als Mitarbeiter einer Kommune kann ich mit Menschen in den Austausch zu kommen, die ich sonst vielleicht nicht treffe.

AmkA: Wie profitieren Sie noch voneinander?

Adiam Zerisenai: Themen, die wir nicht abdecken, greifen andere Organisationen auf. Trotzdem müssen wir Antidiskriminierung gemeinsam denken, um die Verwobenheit der Lebensbereiche zu verstehen: Wie können wir Schwarze Menschen unterstützen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren – weil sie queer sind und/oder eine Behinderung haben? Im AdiNet organisieren wir Workshops und arbeiten an gemeinsamen Zielen. Ich sehe darin auch eine Chance, dass wir uns gegenseitig machtkritisch unterstützen.

AmkA: Ein Ort der Begegnung soll auch das Zentrum für Demokratie und Vielfalt in Hanau werden. Wie wird das aussehen?

Andreas Jäger: Wir wollen ein offenes Haus schaffen, ganz ähnlich dem stadtRAUMfrankfurt. Das Zentrum soll vor allem demokratische Werte vermitteln, Menschen sollen Raum haben, um miteinander zu sprechen, füreinander da zu sein, aber auch kritisch miteinander umzugehen. Klar ist: Bei aller Berechtigung für andere Themen – als Amtsleiter bin ich auch für Sport zuständig – wird der 19. Februar 2020, die Aufarbeitung, immer ein zentraler Punkt unserer Arbeit sein. Hanau wird niemals wieder so sein wie vor der Mordnacht.

AmkA: Wir haben über strukturellen Rassismus gesprochen. Welche Rolle spielt Alltagsrassismus in Ihrer Arbeit?

Adiam Zerisenai: Ich würde das nicht voneinander trennen. Alltagsrassismus ist strukturell verankert, zum Beispiel, wenn Lehrpersonen kein Verständnis für Diskriminierung haben.

AmkA: Wie können sich junge Menschen dagegen schützen?

Adiam Zerisenai: Wir versuchen Kinder und ihre Bezugspersonen stärkend zu begleiten, ihnen zu sagen, wie sie reagieren können, wenn sie diskriminiert werden. Sie können eine Gegenhaltung entwickeln, anstatt die Anfeindung zu negieren – damit Verletzung und Schmerz nicht dauerhaft ihr Leben beeinflussen. Dafür arbeiten wir auch mit Schulklassen. Mitschüler:innen, die Diskriminierung beobachten, sollen selbstbewusst sagen können: Stopp, das geht nicht. Und wir gehen in die Unis, in pädagogische Studiengänge. Auch da erleben wir viel Abwehrreaktion. Viele junge Menschen sagen: So bin ich doch gar nicht. Dann sagen wir: Genau darum geht es, um Reflektion.

AmkA: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Andreas Jäger: Menschen erzählen mir, sie würden regelmäßig auf der Straße kontrolliert. Mir ist das im ganzen Leben noch nie passiert. Das zeigt, dass Unterschiede gemacht werden, und dem müssen wir entgegenwirken. Mein Wunsch ist, dass es in fünf bis zehn Jahren deutlich mehr Gleichbehandlung gibt. Und damit einhergehend auch Mechanismen, die diese Gleichbehandlung ermöglichen.

Newroz Duman: Wenn Orte wie der stadtRAUMfrankfurt geschaffen werden, ist das enorm wichtig. Sie dürfen aber nicht bloß Aushängeschilder sein. Auch die Haltung muss sich ändern, bei den Sicherheitsbehörden, in den Sozialrathäusern. Diskriminierung muss wahrgenommen werden. Es muss klar sein: Wenn sich jemand rassistisch äußert, hat das Konsequenzen. Leider erkenne ich nicht, dass wir da sehr weit sind. Und ich sehe es nicht als Aufgabe der Betroffenen, permanent auf Rassismusprobleme hinzuweisen. Rassismus zu bekämpfen, muss Aufgabe staatlicher Institutionen sein. Und ich wünsche mir, dass sie dieser Aufgabe nachkommen.

Adiam Zerisenai: Trotzdem müssen wir weiter auf Diskriminierung hinweisen. Was ihr macht, Newroz, das Erinnern und Benennen der Opfer, die Frage nach Verantwortung zu stellen, das bringt gesellschaftlich extrem viel, auch wenn ihr immer wieder ernüchtert werdet.

Newroz Duman: Natürlich ist die Arbeit der vielen Initiativen gegen rechte Gewalt sinnvoll. Und auch wenn es langsam geht: Wir sehen, dass sich etwas bewegt.

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Newroz Duman ist ehrenamtliche Sprecherin der Initiative 19. Februar, in der sich die Angehörigen der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau organisieren. Mit ihrer Forderung „Say their names“ hat die Initiative erreicht, dass die Geschichten der Opfer im Zentrum der Berichterstattung steht und nicht die Täterperspektive. Newroz Duman arbeitet als Traumapädagogin, Referentin in der politischen Bildungsarbeit und im Vorstand von Pro Asyl. Mehr Infos: www.19feb-hanau.org

Adiam Zerisenai ist für die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund e.V.) im Kompetenznetzwerk Anti-Schwarzer Rassismus tätig. Dort hat sie die inhaltliche Leitung eines Projekts für den Bereich Kita und Schule inne. Adiam Zerisenai ist examinierte Krankenschwester, Sozialwissenschaftlerin und ausgebildete Social Justice und Diversity Trainerin. Mehr Infos: www.isdonline.de

Andreas Jäger ist seit 2020 Leiter des Amtes für Demokratie, Vielfalt und Sport in Hanau. Zuvor war er städtischer Flüchtlingskoordinator, nach dem Terror-Anschlag im Februar 2020 organisiert er die Opferbetreuung. Als Amtsleiter ist Andreas Jäger unter anderem zuständig für die Hanauer Fachstelle für Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusprävention (DEXT). Mehr Infos: www.zukunft-hanau.de

 

AdiNet Rhein Main: Gemeinsam gegen Diskriminierung

Das AdiNet Rhein-Main ist Teil eines Antidiskriminierungsnetzwerks, das sich über ganz Hessen erstreckt. Weitere regionale Stellen gibt es in Nord-, Süd- und Mittelhessen. Gefördert werden sie vom hessischen Ministerium für Soziales und Integration, das damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken will. Das Netzwerk deckt alle Diskriminierungsmerkmale ab: Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Alter und Behinderung.

Weitere Initiativen, Vereine und Kommunen sind jederzeit willkommen.
Mehr Informationen finden Sie auf  www.amka.de/adinet
Ihr Kontakt: Telefon: (069) 212-48750
E-Mail: amka.adinet@stadt-frankfurt.de